Unterricht in der Unterstufe

Mit einer Blume und einem fröhlichen Lied begrüßen die Kinder der zweiten Klassen zur Einschulung im Herbst die neuen Erstklässler. Ereignisreiche zwölf Jahre liegen vor den Schulanfängern – davon in der Regel acht Jahre begleitet von ihrer Klassenlehrerin oder ihrem Klassenlehrer. In regelmäßigen Elternabenden werden die Prinzipien der Waldorfpädagogik erläutert und erlebbar gemacht. Dabei steht die konkrete Entwicklung der Klasse im Mittelpunkt. Die Elternbesuche dienen dem Austausch über Lern- und Entwicklungsfortschritte der einzelnen Kinder.
Zahlreiche Unternehmungen wie Feste, Ausflüge, Klassenfahrten, Praktika und Theaterprojekte bringen Kinder, Lehrer und Eltern zu einer langjährigen pädagogischen Gemeinschaft zusammen.

Waldorfpädagogik strebt mehr an als schulische Wissensvermittlung
Sie betrifft den ganzen Menschen mit all seinen Fähigkeiten, mit Kopf, Herz und Hand. So soll sich Lernen in ebenso praktischem, musischem wie auch intellektuellem Üben zu einem komplexen Erleben zusammenfügen. In einer langjährigen, möglichst stabilen und altershomogenen Klassengemeinschaft lernen die Schüler Verbindlichkeit und Vertrauen im Miteinander wie auch ihren Lehrern gegenüber zu entwickeln. Dieses pädagogische Prinzip ermöglicht es, Kinder mit unterschiedlichen Begabungen gemeinsam zu führen und zu fördern – ohne die sonst übliche Versetzungsordnung des dreigliedrigen staatlichen Schulsystems.
Praktischer und künstlerischer Unterricht, wie auch die herkömmlichen Schulfächer, orientieren sich sowohl im Inhalt als auch in der Art und Weise an der altersgemäßen Entwicklung der Kinder. Die Lehrer arbeiten in den ersten Schuljahren mit den noch reichen kindlichen Nachahmungskräften, die sich in unmittelbarer Hingabe und Vertrauen in die Erwachsenen zeigen. Diese Kräfte helfen, Gedichte und Lieder, aber auch das Einmaleins aus einem rhythmischen Erleben heraus aktiv aufzunehmen und tief im Gedächtnis zu verankern.

Epochen- und Hauptunterricht
In abwechselnden Epochen von drei bis vier Wochen werden Schreiben und Lesen (später Deutsch), Rechnen (später Mathematik), Formenzeichnen (später Geometrie) und Heimatkunde (später Geografie und Geschichte) unterrichtet; ab der Mittelstufe auch Chemie, Physik oder Biologie. Dieser „Epochenunterricht“ ermöglicht es dem Klassenlehrer, jeweils eines dieser Fächer konzentriert, ausführlich und erlebnisvoll zu behandeln, um es anschließend eine Zeit lang ruhen zu lassen. Angelegte Fertigkeiten werden dann später als Fähigkeiten wieder aufgegriffen und fortgeführt. Konzentration auf ein Fachgebiet hilft Kindern sich mit den Themen tief zu verbinden. Begeisterung entsteht bei manchen für die Handwerkerepoche in der dritten, bei anderen wiederum für das Wissen über alte Kulturen in der fünften oder für eine in abenteuerlichen Höhlenexkursionen erlebte Geologie in der sechsten Klasse.
An den morgendlichen, in Epochen gegebenen Hauptunterricht, schließen sich jeden Tag die Fächer an, die besonders kontinuierliches Üben verlangen. Dies sind beispielsweise das künstlerische Bewegungsfach Eurythmie, Spielturnen, Sport, Musik und die Fremdsprachen, die ab der ersten Klasse unterrichtet werden. Nachahmend und unbefangen tauchen die Kinder in den ersten drei Jahren in Spiele, Gedichte und Lieder ein. Sprachrhythmus, Klang und Strukturen werden noch nicht intellektuell vermittelt, von der Muttersprache unterschiedene Lautungen und Denkformen stärken unbewusst eine innere Beweglichkeit. Ab dem dritten oder vierten Schuljahr werden die bisher über das Gehör aufgenommene Inhalte auch geschrieben, gelesen, und durch Übersetzung und grammatikalische Strukturen bewusst gemacht.

Projekte, Klassenfahrten, Konzerte, Theaterspiele, Gartenbau
In der oberen Mittelstufe runden Projekte, Klassenfahrten, Konzerte und kleine Theaterspiele den Lebensraum Schule ab. Sich selbst in unterschiedlichen Fähigkeiten zu erproben – so kann Bildung bereits in den ersten acht Schuljahren den Boden bereiten für ein lebenslanges Lernen auf dem weiteren Berufs- und Bildungsweg.
Allwöchentliches praktisches Arbeiten im Gartenbau, in der Textil- oder Holzwerkstatt, wie auch das künstlerisch-bildnerische Gestalten helfen gleichwertig je nach Altersstufe das Anliegen „Kopf, Herz und Hand“ in der Tat umzusetzen.

„Jede Erziehung ist Selbsterziehung, und wir sind eigentlich als Lehrer und Erzieher nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes.“
Rudolf Steiner

Die Oberstufe in der Waldorfschule

Mit Beginn der 9. Klasse…

…gehören die Jugendlichen der Oberstufe an. Anstelle der langjährigen Begleitung durch die Klassenlehrernehmen nun die verschiedenen Lehrer einzelner Fachrichtungen eine zentrale Rolle ein. Das Spektrum derFächer erweitert sich.

Die Welt von heute ist in starkem Maße durch die Errungenschaften von Naturwissenschaft und Technikgeprägt. Diesem Aspekt Rechnung tragend werden Biologie, Chemie, Physik und Geographie alseigenständige Epochen in allen Oberstufenklassen unterrichtet. Dabei geht es weniger um ein Vermitteln isolierter, faktischer und modellgeprägter Wissensinhalte, alsvielmehr um ein echtes Durchdringen naturwissenschaftlicher Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten, auch vor dem Hintergrund ihrer allgemeinmenschlichen, sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen.

Der Erkenntnisprozess beginnt dabei stets mit der exakten Wahrnehmung eines Naturphänomens. Dergenauen Phänomenbeschreibung folgt die gedankliche Durchdringung, so dass das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten als individueller Prozess von den Schülern erlebt wird. Moderne Naturwissenschaft verlangt heute ein neues Denken, das den Menschen als Teil eines umfassenden Relationsgefüges versteht. Der spezifische Ansatz der goetheanistischen Naturwissenschaftversucht in diesem Sinne, die objektive Naturgesetzlichkeit mit den subjektiven Erkenntniskräften der Jugendlichen in einem aktiven Begegnungsvorgang zu verbinden. Gleiches mit Gleichem zu heilen ist eine alte Weisheit. Man kann sagen, dass dieser Grundsatz auch dem Lehrplan der Waldorfschule in der Oberstufe zugrunde liegt. Ein Teil der Oberstufenzeit fällt in die sogenannte Reifezeit, die Pubertät. Der Lehrplan und die Didaktik, z.B. im Fach Deutsch, versuchen nun, der jeweiligen seelischen Gestimmtheit der Jugendlichen zu entsprechen. Auf diese Art pädagogisch angesprochen soll es den jungen Menschen leichter fallen, sich aus den extremen Gefühlslagen herauszuarbeiten und die positiv aufscheinenden Ideale und Werte zu verfolgen. Die jungen Menschen sollen in sich entdecken und entwickeln, was ihr Lebensziel sein wird. Eigenständigkeit und Integrität sind die eigentlichen Lernziele. Hier aber darf der soziale Gedanke nicht fehlen. Das „Erkenne dich selbst“ wird schließlich in der 11. Klasse ergänzt durch den Blick auf das Du, verdeutlicht durch die Frage des Parzival an seinen kranken Oheim: Was fehlt dir? So gerüstet kann der junge Mensch am Ende seiner Waldorfschulzeit in der 12. Klasse sich der Aufgabe, sein Lebensziel zu finden, und der Frage nach dem Umgang mit der Liebe, mit Beruf und Geld, nach dem Bezug zu einer geistigen Welt, ganz bewusst stellen.

Projekte, Praktika und Klassenfahrten

Lernen durch Erfahrung

Auf den Klassenfahrten der Mittelstufe steht die Gemeinschaftsbildung im Mittelpunkt. Für die Schülerinnen und Schüler ist es eine Herausforderung, durch Verlässlichkeit und Rücksichtnahme zum Gelingen des Ganzen beizutragen.

Lernen durch Praxis

Ein Schwerpunkt in der Oberstufe sind die Praktika. Wenn die Jugendlichen erleben, dass ihre Arbeitskraft gebraucht wird und sie Verantwortung übernehmen, geschieht ein Perspektiven- und Rollenwechsel.

Projektarbeiten in der 8. und 12. Klasse

Sie fordern die Schüler auf ganz neue Art heraus. Über einen Zeitraum von ungefähr einem dreiviertel Jahr beschäftigen sich die Jugendlichen neben dem täglichen Unterricht mit einem selbst gewählten Thema, das sie eigenständig und kontinuierlich bearbeiten, praktisch und theoretisch umsetzen und in einem öffentlichen Vortrag mit einer dazugehörigen gemeinsamen Ausstellung präsentieren.

6. Klasse

  • Höhlenexkursion in die fränkische Schweiz – Geologie hautnah erleben

7. Klasse

  • Skilager in den Alpen

8. Klasse

  • Forstpraktikum – die Bedeutung des Bergwaldes durch Waldpflegemaßnahmen kennen lernen
  • Klassenfahrt zum Abschluss der Klassenlehrerzeit​
  • Theaterprojekt​
  • Eurythmieaufführung
  • Projektarbeit

9. Klasse

  • Landwirtschaftspraktikum – auf einem biologisch-dynamisch wirtschaftenden Bauernhof erleben die Schülerinnen und Schüler, was es bedeutet, mit der Natur zu arbeiten.
  • Alpenwanderung – der geologische Aufbau und der Naturraum der Alpen stehen im Mittelpunkt der Nord-Süd-Querung.

10. Klasse

  • Betriebspraktikum – die eigenen Stärken, Schwächen und Fähigkeiten in Handwerksbetrieben der Region unmittelbar erproben. Im Mittelpunkt steht dabei weniger die spätere Berufswahl, als vielmehr der Einblick in das Arbeitsleben.
  • Feldmesspraktikum – Mathematik wird praktisch angewendet, wenn ein Gelände vermessen und die dazugehörige Landkarte angefertigt wird.

11. Klasse

  • Sozialpraktikum – die Würde des anderen Menschen erfahren und erkennen.
  • Projektarbeit

12. Klasse

  • Kunstexkursion und Bildhauerei in Italien​.
  • Schauspielprojekt
  • Eurythmieabschluss