Michael Feuchtmeir macht sich Notizen zur Probe. Auf dem Tisch liegen die Handys der Schüler…
„Eine unglaublich schöne Arbeit!“
Darin sind sich unsere Theaterlehrer Michael Feuchtmeir und Markus Lütke absolut einig: Die Arbeit mit den Jugendlichen in der 8. Klasse und später in der 12. Klasse mit den jungen Erwachsenen ist für die beiden ein Geschenk. Als Zuschauer sieht man ein fertiges Theaterstück, wird berührt von der Erzählung und der Darbietung und es kann passieren, dass man vergisst: Es ist ein Stück, das von Schülerinnen und Schülern in wenigen Wochen eingeübt wurde! Und dabei stand doch erst vor wenigen Monaten noch die Auswahl des Stücks an der Tagesordnung.
Wie wird ein Stück ausgewählt und wie kommt es zur Entscheidung?
MF: Für das 12. Klass-Stück, das im Oktober und November eines neuen Schuljahr aufgeführt wird, muss die Auswahl in der 11. Klasse geschehen. Meist geschieht das gemeinsam mit den Deutschlehrer*innen. Ich begleite die Klassen dann noch bei der Rollenvergabe und erarbeite mit ihnen die Struktur des Projektes. Es gilt ja nicht nur das Stück einzustudieren und aufzuführen. Alle Arbeitsbereiche werden von den Schüler*innen abgedeckt: Bühnenbild, Kostüme, Requisite, Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem besprechen wir beispielsweise miteinander, ob wir die Inszenierung naturalistisch, modern oder stilisiert entwickeln wollen. Ich denke, ihr Vertrauen in meine Person ist für ein Gelingen extrem wichtig.
ML: Für die 8. Klassen ist alles identisch, jedoch begleiten der Klassenlehrer und ich in dieser Jahrgangsstufe noch mehr, auch bei der Auswahl des Stücks. Der Wunsch ist, dass jeder, der es sich zutraut, eine kleine Rolle übernimmt. Doch es soll offen bleiben und kein Zwang entstehen. Bei der Ton- und Videotechnik bieten sich auch noch Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten. Eine Herausforderung ist auch, das Stück und die Schülerzahl passend zu machen. Manchmal spielen wir mit zwei komplett anderen Besetzungen, oder eine Rolle wird nach der Pause von einem anderen Schüler oder Schülerin übernommen.
MF: Ja, das ist richtig! Moderne Stücke sind meist für weniger Personen geschrieben.
Wie werden die Rollen besetzt?
ML: Damit gehen wir sehr verantwortungsvoll um. Das Stück wird gemeinsam gelesen und jeder schreibt eine Bewertung, wer welche Rolle spielen könnte.
MF: Bei den 12. Klass-Stücken werden die Rollen in kompletter Eigenverantwortung der Schüler*innen besetzt.
ML: Dann versuche ich den Schüler*innen eine Rüstung mitzugeben, durch Gebärden, Haltung und Mimik. Diese fremde Rüstung können sie erfühlen. Dadurch wird das Stück begriffen.
MF: Das ist tatsächlich in der 12. Klasse anders. Die Schüler*innen nähern sich der Rolle mit ihrem Einfühlungsvermögen und ihrem Intellekt. Darauf aufbauend erarbeiten wir gemeinsam passende Bewegungen und Verhaltensweisen.
ML: Um ein Gefühl abrufen zu können, versuche ich mit ihnen, eine Parallele, ein Nachempfinden einer bereits erlebten Situation zu finden. Es soll sich eine Wechselwirkung zwischen Körper und Gefühl ergeben. In der Pubertät ist das Gefühlsleben in Bezug auf die Innen- und Außenwelt in eine Art Ungleichgewicht geraten. Das Verstehen und Ergreifen einer fremden Rolle, eines fremden Schicksals, bis in die Mimik, Gebärde und Sprache hinein, kann dabei helfen, dieses Gleichgewicht auf einer ganz neuen und mehr persönlichen Ebene wieder herzustellen.
Und dann stehen die Schüler*innen mit fertig gelerntem Text bei der ersten Probe?
ML und MF: Wir versuchen natürlich beide, den Schüler*innen mitzugeben, dass für eine Probe Textkenntnisse sinnvoll und notwendig sind. Das Thema ist ein Dauerbrenner.
MF: Sie nehmen sich dann während der Proben selbst mehr wahr, lernen, in welcher Emotion z. B. eine Reaktion stattfindet, lernen mehr und mehr aufeinander zu hören! Vor allem für Gruppen ist es entscheidend, dass alle aufeinander achten.
ML: Doch wir üben ja erst ohne Publikum und nur eine Woche im Aufführungssaal. Für den Saal müssen sie dann zum Beispiel mehr Intensität durch Lautstärke entwickeln.
Irgendwann ist dann der Tag der ersten öffentlichen Aufführung da…
ML und MF: Das ist immer eine riesige Gemeinschaftsleistung!
MF: Bei den Aufführungen erleben sie schließlich den Kontakt mit dem Publikum und merken: Ich kann mit meinem Spiel wirklich jemanden berühren! Sie erschaffen ja eine Art Wirklichkeit in diesen Momenten.
ML: Ja, es ist wie ein Weben zwischen Bühne und Publikum.
MF: Ich sitze bei jeder Aufführung dabei und schreibe mit, was in den nächsten Aufführungen besser gemacht werden könnte. Das ist mein eigener Anspruch: Den Schüler*innen möglichst lange Rückmeldungen für Verbesserungsmöglichkeiten geben zu können.
ML: In den 8. Klassen ist es unterschiedlich, ob die Schüler*innen während der Aufführung auch hinter der Bühne komplett alleine gelassen werden können. Die ganzen Umbauten, Kostümwechsel, da brauchen sie meist noch Unterstützung.
Wie kommen die Schüler*innen wieder aus der Figur raus?
ML: Ich versuche ihnen klar zu machen: Das ist deine Rolle, deine Figur.
MF: Bei bestimmten Stücken kann es tatsächlich erforderlich sein, die Charaktereigenschaften einzelner Bühnenfiguren und deren Verhältnisse gut aufzuarbeiten und mit dem Eigenen zu vergleichen. Dann können sie Privates und Gespieltes besser erkennen und auch wieder trennen.
ML und MF: Es ist tatsächlich Kunst auf hohem Niveau und mehr als Theater. Auch die sozialen Fähigkeiten werden weiterentwickelt. Wir beide sind unheimlich froh über den hohen Stand des Theaters an der Schule und wir denken, es gibt den Jugendlichen unheimlich viel mit.
Vielen Dank an Sie!
Markus Lütke und Michael Feuchtmeir arbeiten seit sechs Jahren zusammen. Markus Lütke betreut die 8. Klass-Stücke, die 12. Klass-Stücke werden von den beiden gemeinsam erarbeitet und inszeniert.
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